
Der W210. Da scheiden sich die Geister. Für die einen ist es immer noch der ewig rostende Verbrauchtwagen, die anderen versuchen dem Modell endlich den gleichen Platz im Klassikerhimmel zukommen zu lassen, wie der W124 ihn schon längst inne hat.
Ich gebe mal meine Version dazu.
Etwa eineinhalb Jahre ist es her, dass ich spontan einen W210 gekauft habe. Genug Zeit ist seitdem vergangen, den Wagen wirken zu lassen und ein Fazit zu ziehen.
Zunächst mal muss ich sagen, durchaus voreingenommen zu sein. Meine Eltern fuhren in den 90ern einen E 230 in Brilliantsilber (Farbcode 744, für die Fetischisten hier). Seinerzeit hatte ich für Mercedes und andere Mainstreamfahrzeuge wenig übrig und schenkte dem Wagen entsprechend kaum Beachtung. Trotzdem prägt es natürlich, wenn die Karre ständig präsent im Alltag ist. Damals schätze ich ihn eher als Reisewagen, trotz brummigem Vierzylinder, der zudem keinen Hering vom Teller zog.
Viele Tugenden, die man Mercedes seit dem W123 zuschreibt, blieben beim W210 erhalten – allen Unkenrufen zum Trotz. Da wäre zum Beispiel das satte Geräusch, mit dem die Tür ins Schloss fällt oder das angenehme Druckgefühl der Schalter. Auch das satte Einrasten der Fahrstufen in der Schaltkulisse sucht seinesgleichen. Die Klarheit mit der die Instrumente abzulesen sind, findet man vielleicht noch bei älteren BWM, sucht aber sonst vergebens danach. Und obwohl jeder mittelklassige Amerikaner eine bessere Geräuschdämmung aufweist als diese viel teurere E-Klasse, fühlt man sich für ein deutsches Fabrikat angenehm heimelig. Die Sitze sind betont bequem und nicht auf pseudo-sportlich getrimmt, wie bei fast allen Autos aus dieser Zeit. Seitenhalt? Braucht man vielleicht auf dem Nürburgring, nicht aber im Alltag, wo man einfach mal lange Strecken zurücklegen will, ohne gleich die betagten Bandscheiben zu spüren. Das kann er alles, der W210.
Am besten transportiert das Vorfaceliftmodell des W210 meiner Meinung nach die Designsprache anno 1995 zur Einführung des Modells. Das 4-Augen-Gesicht und die Rundungen lassen alles etwas retro wirken. Das geht aber in Ordnung und hebt sich positiv vom sehr sachlichen Auftritt der Konkurrenz zu dieser Zeit ab. Außerdem wirkt der Wagen durch ausladende Rundungen aus allen Perspektiven größer als er ist – obwohl er nicht mal die 4,80 Meter erreicht. Die MOPF-Modelle, also das Facelift ab 1999, wirkt schon etwas abgelutschter und weicht dieses trutzige Erscheinungsbild etwas auf. Das liegt an der weniger steilen Front und geänderten Stoßfängern rundum. Dazu kamen diese Fancy-Spiegel-Blinker, die heute jeder im Programm hat. Meine Wahl wäre also das Ursprüngliche, sprich das Vor-MOPF-Modell (welch ein Wort!) von 1995 – 1999.
Warum die meisten W210 immer noch mit libanesischen Kiesplatzhändlern und manipulierten Tachos in Verbindung gebracht werden, liegt wohl an der extremen Rostanfälligkeit aller Modelle. Darüber wurde schon mehr als genug geschrieben, ich erspare Ihnen deshalb weitere Details. Es sollte jedenfalls nicht vergessen werden, was Mercedes sich damals geleistet hat – im negativen Sinne. Nicht nur die Tatsache der Rostanfälligkeit an sich bzw. das Problem eben nicht so schnell wie möglich zu lösen, sondern stattdessen miserables Reklamationsmanagement zu betreiben. Es hat jedenfalls dem Image der Marke und des Modells bis in alle Ewigkeit nachhaltig geschadet. Das ist der Hauptgrund, warum der W210 noch keine Anerkennung als Youngtimer gefunden hat.
Vom überstrahlenden Rostproblem abgesehen, findet man ansonsten relativ solide Technik vor. Es gibt gelegentlich Elektronikprobleme, meist hervorgerufen durch Kabelbrüche wegen der Verwendung von höchst billigen Kabelisolierungen, die weder UV-beständig noch temperaturfest sind. Das konnten andere zu der Zeit besser, jedoch rein mechanisch betrachtet ist die E-Klasse gut für ein paar Erdumrundungen. Die Motoren sind standfester als bei BMW und die Getriebe machen weitaus weniger Probleme als beispielsweise diese unsäglichen Multitronic Dinger bei Audi. Kapriolen im Innenraum wegen ablösbarem Softlack oder billigen Sitzbezügen à la VW bleiben einem ebenso erspart. Stoffsitze sind unzerstörbar und das Leder reißt nach 300.000 km vielleicht mal irgendwo. Alles im Rahmen also.
Wichtig ist auch immer das verfügbare Zubehör. Und da kann Mercedes punkten, denn der jahrzehntelange Taxieinsatz und auch das Interesse bei Behörden haben dem Modell skurrile Ausstattungsdetails ermöglicht, von denen der Youngtimerliebhaber heute profitieren kann.
Ich kann mir so eine E-Klasse mittlerweile lang anschauen und mich stets an der stimmigen Form erfreuen. Die Proportionen passen und auch die Ergonomie im Innenraum ist gut.
Zu sehr bestimmt der Wagen aber noch das alltägliche Straßenbild, als dass er jemandem auffallen würde. Die meisten würden dieses Modell in der überfüllten Innenstadt wahrscheinlich glatt übersehen.
Mein Ziel ist es, ein Exemplar zu konservieren und eben keine Rostlaube mit Rest-TÜV aufzubrauchen, sondern abzuwarten, wie sich die Nachfrage in den nächsten Jahren entwickelt und dieses Stück Technik mit etwas Sachverstand zu erhalten. Am besten dazu geeignet ist ein seltenes und begehrenswertes Modell, deshalb habe ich mich (wenn eben auch spontan) für den E55 AMG entschieden. Von außen sieht nur der Kenner, dass es sich um das Topmodell handelt und mit Erscheinen Ende der Neunziger eine der schnellsten Serienlimousine der Welt geschaffen wurde. Ein perfekter Sleeper…zum Preis von ehemals 178.000 Mark. Das war viel Geld. Vor 20 Jahren zumindest.
Ich könnte mich jedes Mal vor Lachen einnässen, die Reaktionen anderer vermeintlicher Sportwagenfahrer zu erleben, wenn man die Leinen loslässt und das Biest seinen 0-100 Sprint in 5,7 Sekunden hinlegt. 5,5l Hubraum und 354 PS sind eben auch heute noch eine Ansage. Ganz besonders, wenn man durch das unauffällige Erscheinungsbild einen Opa-Benz mit 115 PS neben sich an der Ampel wähnt.
Trotz bester Voraussetzungen mit einer gut erhaltenen Karosserie, musste ich im kleinen Rahmen dennoch Rostvorsorge betreiben. Nach Möglichkeit vermeide ich Regen und Salz, sodass die Vorsorge kein Dauerthema wird.
Was eine Fangemeinde für dieses Modell angeht, bildete sich letztes Jahr ein Hoffnungsschimmer durch den Versuch, eine Interessengemeinschaft zu gründen. Die Gründungsoffensive wurde sogar durch ein einschlägiges Youngtimermagazin bekannt gemacht. Leider fehlte dem Gründer der lange Atem, eine funktionierende Gemeinschaft aufzusetzen, so dass die Initiative kaum ein Jahr überlebte. Schade.
Der W210 hat also immer noch keine Lobby, die alle Vorgängermodelle mittlerweile für sich beanspruchen können. Das Modell befindet sich eben genau auf der Schwelle zwischen erhaltenswertem Youngtimer und Gebrauchtwagen. In der Versenkung wird der Wagen nicht verschwinden, da bin ich mir sicher. Es wird jedoch noch ein paar Jahre dauern, bis man sich seiner mit dem gleichen Enthusiasmus annehmen wird, wie beispielsweise einem W124. Zuerst steht noch der steinige Weg als erschwingliche Proletenkarre der osteuropäischen Jogginhosenträgerfraktion bevor. Hoher Kaufanreiz gerade der Achtzylindermodelle, weil billig und cool, gepaart mit Bling-Bling-Modifikationen unter Missachtung jeglicher Wartung. Dafür ist dann kein Geld mehr da, denn das wurde schon verprasst für Hochglanzfelgen und leer geräumte Auspuffanlagen. Auch die Investition in Duftbäume der Note „serbischer Puff“ und „Bauschutt“ will schließlich irgendwie gestemmt werden. Da hilft nur Abwarten und bei Gelegenheit ein übersehenes Exemplar vor der Verwahrlosung retten.
Es würde auch helfen, wenn der Hersteller sich endlich der Sache annehmen würde. Es gibt die Klassik-Abteilung ja genau für diesen Zweck. Den Vorteil vergünstigter Wartungstarife für Altwagen haben andere Hersteller schon längst erkannt für gleich alte Fahrzeuge. Es wäre also an der Zeit…
Kommen wir zum Fazit. Trotz der Lage im Tal der Tränen, ist der W210 für mich erhaltenswert und bereits heute ein Klassiker. Immerhin sind frühe Exemplare schon über 20 Jahre alt. Sicherlich nicht mehr „aus dem vollen“ gebaut wie seine Vorgänger, zumindest aus qualitativer Sicht. Auch den Sparzwang der Ära sieht man dem Modell deutlich an. Das macht ihn aber nicht weniger attraktiv, da er die klassischen Tugenden eines Mercedes genauso vermittelt wie viele Modelle zuvor.
Ich plädiere für „Aufheben“. Wenn Sie ein Exemplar haben, bitte hegen und pflegen und nicht verbrauchen. Wenn Sie derzeit auf der Suche sind, bevorzugen Sie natürlich ein seltenes Modell mit großvolumigem Motor. Ähm, na gut…das sei natürlich jedem selbst überlassen.
Derzeit dünnt sich der Bestand ohnehin schneller aus als Fabienne „Blaubeerkuchen“ zu Butch sagen könnte. Also warten Sie nicht zu lang.
Als Reisewagen schätzte ich den 300TDT eines Freundes sehr, bis ihn der Rost ausser Verkehr setzte war das echt ein guter Reisewagen. Aaber… für mich hat schon der W124 nicht mehr viel gemein mit den richtig alten und währschaften Benzen à la /8, W123, W116 und W126. Nicht der Rost stört mich (Mercedes konnte noch nie rostresistente Karosserien bauen) sondern, dass das Türschliessen und die ganze Haptik des Wagens bei meinem 79er 240TD mit 330tkm für mich immer besser war als bei den nachfolgenden „Plastikbenzen“. Dieser Eindruck ist natürlich subjektiv, aber der letzte echte Benz bleibt für mich der 123 bzw. 126.
Genau genommen gebe ich dir Recht. Wenn man ganz konsequent ist, sind alle Benz seit den damaligen Eisenschweinen zu verschmähen. Plastik hat seit dem 124 und ganz stark natürlich im 210 Einzug erhalten.
Für mich war entscheidend, dass noch genug erhaltenswerte Restgene im 210 vorhanden sind, die ein Aufheben rechtfertigen. Genauso beim 124 natürlich.
Nur wenn ich mir die heutigen Krawallbuden angucke (Stichwort „Klappenauspuff“) und der fast zwanghafte Versuch, die Modelle auch der jüngeren Generation schmackhaft zu machen, dann weiß ich, dass es von alten Tugenden unwiederbringlich weg führt.
Da bin ich absolut bei Dir. Heute hatte ich einen Ortstermin in Zürich und was steht da vor dem Bürogebäude? Ein gut abgehangener aber doch gepflegter 240D 3.0 /8. Da geht mir das Herz auf, daher würde ich persönlich jeden Rappen (bzw. natürlich jeden Cent bei Dir) in solch noch ältere Wagen investieren. Ich bin von den 80er und 90er Jahren jetzt aufs Alter hin (doch schon 35…) zu den Vergaseramis der 60er und 70er gekommen. 🙂
Eine schöne Entwicklung! Ich bin quasi mit Vergaseramis angefangen (kurzes Intermezzo mit einem hässlichen Mustang MK3) und bin seit jeher auf der Suche nach einem adäquaten Fahrzeug. Aber die Vielfalt der Modelle und Unterschiede im Baujahr sowie leider auch der Individualisierungswahn der Besitzer habe ich in fast 20 Jahre aktiver Suche noch nichts gefunden. Daher verfolge ich deine Berichte zur US-Car Suche mit Spannung!
Findest Du den Mustang III echt so hässlich? Ich fuhr auch mal kurzfristig einen, ich fand ihn faszinierend, wie Amis auf dem kleinen Raum so viel US-Fahrgefühl unterbringen konnten. Gut, böse Zungen schimpften ihn Escort V8… 🙂
Du hast recht, der Individualisierungstrieb der US-Car Szene ist fast so schlimm wie bei den VW und Opel-Freaks. Zumindest in der CH findest Du aber gute Autos, was suchst Du den? Die Unterschiede zwischen den Modelljahren sind ja oft marginal, da nur optisch. Ich habe immer recht offen nach einem Modell gesucht und habe den Zustand und nicht das Baujahr entscheiden lassen. Nun habe ich 2 Autos, welche in der CH nicht mal eine Abgasuntersuchung benötigen, praktischer Zufall 🙂
Tja, als Pace-Car in der V8 Version mit 115PS und der Kriegsgemalung hat er mir gefallen. Aber ich hatte fälschlicherweise einen schäbigen V6 mit dem Euro 2,8l gekauft. Und dann diese Gummistossfänger…
Es hat sich ja mittlerweile bis in die letzte Reihe herumgesprochen, dass in der Tat in der CH die bestgepflegten Fahrzeuge in Europa zu bekommen sind. Irgendwie scheint es da – zumindest in den vergangenen Jahrzehnen – einen regelrechten Kulturunterschied zu geben. Denn einerseit die vielen Vertretungen exotischer Hersteller nur in der Schweiz und andererseits die aufopferungsvolle Pflege der Besitzer machen das zum ersten Anlaufpunkt ernsthafter Suche. Ich bin ebenso völlig offen, was einen Amerikaner angeht. Gern Muscle oder Pony Car, vielleich weniger Full Size Sedan. Welchen zweiten Wagen nennst du denn dein Eigen, neben dem aktuell beschafften Prachtstück aus Übersee?
Du hast die Schweizer Fahrzeugszene gut beschrieben. Vielen Schweizern ist der Einheitsbrei ein Graus. Full Size sind nun doch etwas arg gross für die Innenstädte, das gebe ich zu.
Mein 67er Plymouth Valiant ist ein Compact Car und damit absolut tiefgaragentauglich. Daneben habe ich noch einen 75er Pontiac Firebird, damit ist meine Sammlung schon umrissen. Der beschriebene Plymouth Roadrunner gehört Max, einem unserer weiteren Autoren 🙂
Das sind zwei wirklich geschmackvolle Vertreter der amerikanischen Autobaukunst. Glückwunsch dazu und natürlich allzeit gute Fahrt! Speziell auf so ein Firebird habe ich auch im Stillen immer schon ein Auge geworfen. Der geht selbst als späteres Baujahr mit einem bunten Airbrush-Adler (wie bei Bandit) auf der Motorhaube noch als Kult durch.
Danke 🙂 Wobei ich hier besserwisserisch eingreifen muss: der Plymouth Valiant ist ein Schweizer. Der wurde damals von der AMAG (Importeur von VW/Audi/etc) am eigenen Fliessband gefertigt. Spannenderweise investierte man in der CH weit über 100 Stunden in die Fertigung, welche die Amis in 6 Stunden schafften. Dafür gabs aber die bessere und bergetauglichere Ausstattung sowie kein Punktschweissen und einen guten Rostschutz. Ebenso ist die Elektrik gut verlegt und macht keine Mopartypischen Probleme 🙂
https://autosleben.com/2018/03/12/montage-schinznach-die-amag-konnte-einst-mehr-als-nur-autos-verkaufen-teil-1/
Betreffend Firebird gebe ich Dir recht, der Adler oder auch die „after-market“ Airbrush-Kunstwerke dieser Zeit sind kult!
Stimmt. Den verlinkten Artikel habe ich seinerzeit mit Spannung gelesen. Natürliche würde ich bei einer Wahlmöglichkeit das Fahrzeug aus Schzweizer Produktion vorziehen. So wie auch die wenigen Typen aus Übersee, die bei Magna / Steyer gefertigt wurden.
Absolut kultig finde ich auch das Werbematerial und die Werbetexte, welche von der AMAG für schweizer Kunden amerikanischer Wagen konzipiert wurde. Das Beste aus zwei Welten quasi.
Gibt’s da Unterlagen oder Infos zu der Fertigung von Steyr betr. Fahrzeugen aus Übersee?
Ja die Werbetexte sind wirklich toll „V8-Brummer“ etc. solche Ausdrücke würde heute keine Marketingtante mehr verwenden 🙂
Du sagst es, ewig haltende US-Mechanik, verfeinert mit besseren Bremsen/Kühlung und besserer Verarbeitung.
Hmm, ich habe derzeit nichts Konkretes in der Hand. Es gab diverse Artikel dazu in Oldtimer-Magazinen. Ich habe ein Archiv diverse Zeitschriften. Das schaue ich bei Zeiten mal durch und lasse dir Infos zukommen.
Herzlichen Dank! Pressiert überhaupt nicht, aber ist sicher interessant.
Der 210er verdient definitiv mehr Aufmerksamkeit. Es hat aber auch sein Gutes, denn solange der Markt den Wagen übersieht, stehen die Chancen gut, für wenig Geld ein richtig gutes Auto zu fahren. Ich stecke viel Geld in meinen E 430 für den Erhalt und freue mich, ein Top-Auto zu haben.
Das ist wohl richtig. Eben weil der Wahnsinn existiert, alle 3 Jahre den Wagen wegzuschmeissen, bieten sich in Deutschland fantastische Möglichkeiten, einen Luxuswagen für wenig Geld zu kaufen und auch erhalten zu können.